Rentnern in Deutschland droht der soziale „Wohn-Abstieg“: Der Wohnungsmarkt ist auf die steigende Zahl älterer Menschen nicht vorbereitet. Es fehlt an barrierearmen Wohnungen. Ebenso an kleinen Wohnflächen. Darüber hinaus bietet ein seniorengerechter Wohnungsmarkt die Chance, die enorm wachsenden Kosten im Bereich der Pflege wirkungsvoll zu reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Wohnen 65plus“, die das Pestel-Institut am 25.Juni 2013 in Berlin vorgestellt hat.
Laut der neuen Pestel-Studie droht Rentnern in Deutschland
der soziale „WohnAbstieg“.
Die Wissenschaftler aus Hannover geben darin erstmals auf der Grundlage der neuen
Zensus-Zahlen eine Prognose für die Bevölkerungsentwicklung. Demnach werden im
Jahr 2035 in Deutschland nahezu 24 Millionen Mensch
en älter als 65 Jahre sein – über
40 Prozent mehr als heute. Damit sei bundesweit ein
enorm wachsender Bedarf an
Senioren-Wohnungen verbunden.
„Mit der starken Zunahme Älterer wird auch die Zahl
der Pflegebedürftigen rasant
wachsen“, sagt Pestel-Studienleiter Matthias Günther. Bereits 2035 werde es 3,5
Millionen Pflegebedürftige geben. Ihr Anteil an der
Gesamtbevölkerung werde damit
von derzeit rund 2,9 Prozent auf dann 4,5 Prozent steigen. Für das Jahr 2050 erwarten
die Wissenschaftler sogar mehr als vier Millionen Pflegebedürftige. Jeder Achtzehnte,
der in Deutschland lebt, wird dann auf Pflege angewiesen sein.
Die Ausgaben im Pflegebereich werden explodieren: 2
035 erwartet das Pestel-Institut
knapp 33 Milliarden Euro an Kosten bei der Pflegeversicherung – ein Plus von 50
Prozent gegenüber heute. Die Hilfe zur Pflege als staatliche Sozialleitung werde dann
sogar um das Fünffache auf 18 Milliarden Euro steigen. Insgesamt wird die Pflege im
Jahr 2035 rund 25,4 Milliarden Euro mehr kosten als
heute, rechnen die Wissenschaftler
vor.
Ein Teil dieser Ausgaben ließe sich vermeiden. Voraussetzung sei allerdings ein
seniorengerechter Wohnungsmarkt. Entscheidendes Kriterium dabei: Barrierefreie
Wohnungen, die eine ambulante Pflege zu Hause ermöglichen.
„Wer heute als älterer Mensch auf Pflege angewiesen
ist und keine altersgerecht
ausgestattete Wohnung hat, ist gezwungen, schon all
ein deshalb ins Pflegeheim zu
gehen, weil eine ambulante Betreuung in den eigenen
vier Wänden nicht mehr möglich
ist. Wenn sich nichts ändert, wird das künftig die
Regel sein“, sagt Matthias Günther.
Für die Pflegekosten sei dies „fatal“.
Denn für die Mehrkosten der stationären gegenüber der ambulanten Pflege kann, so das
Pestel-Institut, von rund 7.200 Euro pro Jahr ausgegangen werden. Dagegen koste der Umbau
zur barrierearmen Wohnung durchschnittlich 15.600 Euro.
„Rein wirtschaftlich betrachtet,
lohnt es sich also, in das altersgerechte Bauen und
Sanieren zu investieren“, sagt Matthias
Günther. Schon mit den Extrakosten für die Heimpflege lasse sich eine seniorengerechte
Wohnungssanierung in gut zwei Jahren finanzieren.
Um wirkungsvoll gegen die „graue Wohnungsnot“ in Deutschland vorzugehen, ist die
Schaffung von rund 2,5 Millionen zusätzlichen Senioren-Wohnungen in den kommenden
Jahren notwendig, so das Pestel-Institut. Die Gesamtinvestition dafür belaufe sich auf 39
Milliarden Euro. – Zahlen, die auch das Bundesbauministerium in einer Studie vertritt.
Anders als das Fachressort von Bundesminister Peter
Ramsauer (CSU) nennt das Pestel-Insitut
auch die notwendige Förderhöhe für das altersgerechte Bauen und Sanieren: 540 Millionen
Euro jährlich in den kommenden acht Jahren. Studienleiter Matthias Günther erläutert: „Ein
Förder-Euro zieht etwa acht Euro an privaten Investitionsmitteln nach sich. Für eine 39-
Milliarden-Euro-Investition muss der Staat also ein
e 4,33-Milliarden-Euro-Förderung schaffen
– in diesem Fall verteilt auf acht Jahre.“
Der Wohnungsmarkt für Senioren dürfe nicht länger vernachlässigt werden: „Es wird höchste
Zeit, das altersgerechte Bauen und Sanieren stärker
zu fördern“, sagt der Leiter der Studie
„Wohnen 65plus“, Matthias Günther. Die Politik müsse dabei – neben KfW-Krediten –
verstärkt auch auf direkte Bau-Zuschüsse und die steuerliche Abschreibung setzen. „Denn ein
Kredit mit zwanzig Jahren Laufzeit stößt bei einem
Siebzigjährigen in der Regel nur auf wenig
Interesse“, so Günther.
Der Pestel-Studienleiter spricht sich für eine gezielte „Senioren-Wohnungsbau-Förderung“
aus. Ältere Menschen lebten oft in zu großen Wohnungen. Es sei notwendig, ihnen kleinere
und damit bezahlbare Wohnungen anzubieten. Dies ins
besondere auch vor dem Hintergrund
einer zunehmenden Altersarmut. Bereits heute seien
rund drei Prozent der Senioren auf
Grundsicherung im Alter angewiesen. Ihre Zahl werde
in den kommenden zwanzig Jahren auf
mehr als 25 Prozent steigen.
Die Studie zum Senioren-Wohnen hat das Verbändebündnis „Wohnen 65plus“ in Auftrag
gegeben. Dazu gehören: der Deutsche Mieterbund (DMB
), der Sozialverband VdK
Deutschland, der Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB), die IG
Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und
Wohnungsbau (DGfM) und der Bundesverband Deutscher
Baustoff-Fachhandel (BDB).
Das Verbändebündnis wirft den Parteien vor, das drängende Thema „Wohnen im Alter“ nicht
mit der erforderlichen Aufmerksamkeit zu beachten.
Das treffe insbesondere auf die gezielte
Vermeidung zukünftiger Kostenbelastungen zu. Bereits in den zurückliegenden vier
Regierungsjahren der schwarz-gelben Koalition habe
es „so gut wie keine Rolle gespielt“.
Mehr noch: „Die jetzige Bundesregierung hat sich gewissermaßen vom altersgerechten Bauen
und Sanieren verabschiedet und den KfW-Fördertopf von ursprünglich 100 Millionen Euro
jährlich auf Null gesetzt. Die neue Bundesregierung
wird sich daran messen lassen müssen, ob
sie es ernst meint und 540 Millionen Euro für das Senioren-Wohnen bereitstellt“, so das
Verbändebündnis „Wohnen 65plus“.
Das Bündnis erwartet von den Parteien „entschlossen
es Handeln und weniger
Taktieren“. Eine spezifische Motivation für die Zielgruppen fehle völlig: „Um freie
Investoren zu gewinnen, sind Abschreibungsmöglichkeiten notwendig. Für betroffene
ältere Menschen ist eine Zuschussvariante attraktiv
“, so das Verbändebündnis
„Wohnen 65plus“. Alles andere sei „Wortklauberei und wird dem Stellenwert nicht
gerecht, den das Thema angesichts der Faktenlage haben sollte".