Auch 2024 sieht sich das Handwerk mit einem ernsten Problem konfrontiert: Rund 35 Prozent der Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Trotz der hohen Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften entscheiden sich immer weniger junge Menschen für eine Karriere als Handwerker. Doch worin liegen die Ursachen für diese Entwicklung?
Herr Manciavillano
Bild: 2024 HWS Handwerks-Schmiede GmbH Liborio Manciavillano erklärt, dass Handwerksbetriebe ihre Strategien an die Bedürfnisse der jungen Generation anpassen müssen. "Tradition allein reicht nicht mehr aus, um Azubis zu gewinnen. Entscheidend sind zeitgemäße Strukturen und eine gezielte Ansprache, die junge Menschen abholt", so der gelernte Handwerker. Im folgenden Gespräch werden die zentralen Herausforderungen analysiert und Lösungsansätze aufgezeigt, wie das Handwerk seine Attraktivität steigern kann.
Herr Manciavillano, trotz des hohen Bedarfs an Handwerksleistungen bleiben viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Woran liegt das?
Das Hauptproblem ist, dass sich das Handwerk oft zu sehr auf Tradition versteift. Natürlich sind Werte wie Beständigkeit und Qualität wichtig, aber sie allein reichen nicht mehr aus, um junge Menschen zu begeistern. Die junge Generation hat andere Erwartungen an den Beruf – moderne Arbeitsbedingungen, Flexibilität und vor allem eine gezielte Ansprache auf den Plattformen, die sie täglich nutzen.
Sie sprechen von digitalen Plattformen. Wie wichtig ist Social Media für die Azubi-Gewinnung im Handwerk?
Extrem wichtig. Viele Betriebe sind dort wenig präsent oder nutzen veraltete Websites, die kaum jemand besucht. Dabei verbringen junge Menschen einen Großteil ihrer Zeit auf Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube. Wer dort nicht sichtbar ist, wird schlichtweg übersehen. Authentische Inhalte, die den Arbeitsalltag zeigen, wirken begeisternd und schaffen Raum für Motivation. Kurz gesagt: Das Handwerk muss zeigen, wie vielfältig und spannend es ist.
Wie wichtig ist Wertschätzung im Umgang mit Auszubildenden?
Auch das ist ein zentraler Punkt. Wenn Anerkennung fehlt oder die Ausbildung unstrukturiert ist, sinkt die Motivation rapide. Ein klarer Ausbildungsplan, regelmäßige Feedbackgespräche und echte Entwicklungsperspektiven machen einen enormen Unterschied. Azubis wollen wissen, dass sie Teil des Teams sind und dass ihre Arbeit geschätzt wird.
Geht es für junge Leute neben Wertschätzung nicht auch um Sinnhaftigkeit?
Das stimmt. Die Vermittlung von Sinn ist sehr wichtig für junge Menschen. Es reicht nicht zu sagen: "Wir decken Dächer" oder "Wir bauen Mauern." Es geht darum, den gesellschaftlichen Beitrag zu betonen. Ein Dach schützt ein Zuhause, eine Wand schafft Lebensraum. Wenn Betriebe vermitteln, dass ihre Arbeit für das Wohl der Menschen unverzichtbar ist, fühlen sich auch Fachkräfte stärker mit ihrer Tätigkeit verbunden.
Viele junge Menschen wünschen sich mehr Flexibilität. Wie kann das Handwerk darauf reagieren?
Indem es starre Strukturen aufbricht. Flexible Arbeitszeitmodelle, flache Hierarchien und die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, sind heute entscheidende Faktoren. Wer das schafft, hebt sich positiv ab. Zudem helfen digitale Tools, Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich junge Menschen entfalten können und das Handwerk als modernen, attraktiven Arbeitgeber wahrnehmen.
Viele Betriebe suchen erst nach neuen Mitarbeitern, wenn eine Stelle frei wird. Ist das heutzutage noch der richtige Ansatz?
Mitarbeitergewinnung sollte niemals eine Notlösung sein. Betriebe müssen kontinuierlich präsent bleiben – durch Social-Media-Aktivitäten, regelmäßige Einblicke in den Arbeitsalltag und langfristige Kampagnen. Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Wer konstant sichtbar ist und authentisch kommuniziert, erhöht seine Chancen, fähigen Nachwuchs zu gewinnen.
Eine Frage zum Abschluss: Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur?
Junge Menschen suchen mehr als nur einen Job – sie suchen ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen und entwickeln können. Eine Unternehmenskultur, die auf Respekt, Teamgeist und Offenheit basiert, sollte daher oberste Priorität haben. Teambuilding-Maßnahmen, gemeinsame Ziele und transparente Kommunikation sorgen für ein positives Arbeitsklima. Das bindet nicht nur Azubis, sondern auch Fachkräfte langfristig.
Über Liborio Manciavillano:
Liborio Manciavillano ist der Geschäftsführer der HWS Handwerks-Schmiede GmbH. Als gelernter Handwerker mit eigenem Betrieb gibt er anderen mittelständischen Handwerksbetrieben effektive Systeme und Prozesse weiter, um zukunftsfähig zu bleiben. Im Rahmen des 12-Monats-Programms eignen sie sich die neuesten digitalen Methoden in den Bereichen Unternehmensführung, Mitarbeitergewinnung und Kundenakquise an. Weitere Informationen unter: https://www.handwerks-schmiede.de/.