Die Vorschriften zum Arbeitsschutz verfolgen ein klares Ziel: für sichere und gesunde Arbeitsplätze zu sorgen sowie Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden. Dass dieser Anspruch mit einem gewissen Maß an Bürokratie einhergeht, überrascht kaum.
Bild: WandelWerker Consulting GmbH Doch zunehmend wird die damit verbundene Regeldichte kritisch hinterfragt – nicht nur in Unternehmen, sondern auch auf politischer Ebene. So sorgte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit seiner pointierten Kritik für Aufsehen, als er die Prüfvorgaben für Leitern als "Quatsch" abtat und dem Staat ein generelles Misstrauen gegenüber seinen Bürgern unterstellte.
Fakt ist: Viele Unternehmen sehen sich durch die wachsenden Anforderungen im Arbeitsschutz zunehmend belastet. Die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bleibt zwar unverzichtbar – doch nicht jede Vorschrift beziehungsweise ihre Auslegung erfüllt diesen Anspruch gleichermaßen. In diesem Beitrag wird erklärt, welche Regelungen in der Praxis wirklich helfen – und wo es Raum für Vereinfachungen gibt, ohne die Sicherheit zu gefährden.
Rückblick und gegenwärtige Bedeutung
Ein Blick auf die Zahlen zeigt eine grundlegend positive Entwicklung: Seit den frühen 1990er Jahren konnte die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle in Deutschland signifikant gesenkt werden – von etwa 1,6 Millionen auf unter 800.000. Dieser Umstand ist unter anderem auf das Arbeitsschutzgesetz mit der Verpflichtung zur Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen und beispielsweise die Maschinenrichtlinie zurückzuführen. Besonders die systematische Gefährdungsbeurteilung hat in vielen Unternehmen präventive Strukturen gestärkt.
In Produktionen und produktionsnahen Bereichen ist der Stellenwert des Arbeitsschutzes heute meist hoch. In Verwaltungsabteilungen hingegen – sowohl in größeren Unternehmen als auch im Mittelstand – ist noch Verbesserungspotenzial vorhanden. Und in kleineren Unternehmen bleibt der Arbeitsschutz häufig unterrepräsentiert, obwohl dort jeder krankheitsbedingte Ausfall besonders ins Gewicht fällt.
Gestaltungsspielräume im Regelwerk
All das zeigt, dass rechtliche Vorgaben im Arbeitsschutz unerlässlich sind. Denn Menschen brauchen immer gewisse Leitplanken. Trotz aller Kritik darf Arbeitsschutz nicht schwarz-weiß gedacht werden. Es gibt in den gesetzlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz durchaus Spielraum für eine angepasste Umsetzung vor Ort. So können Unternehmen bei bestimmten Prüfpflichten – etwa bei ortsveränderlichen elektrischen Geräten – selbst festlegen, in welchen Abständen Kontrollen erfolgen. Was auf der Baustelle sinnvoll ist, macht beispielsweise nicht zwingend im Büro Sinn. Unternehmen können die Risiken bewerten und die Prüffristen je für sich anpassen.
Notwendige Arbeitsschutzmaßnahmen hängen dabei wesentlich von den konkreten Tätigkeiten eines Unternehmens ab. Während bei chemischen Verfahren oder in der Logistik umfangreiche Schutzkonzepte erforderlich sind, reichen in rein administrativen Bereichen reduzierte Maßnahmenpakete aus. Ein typisches Beispiel ist ein E-Commerce-Unternehmen mit reiner Bürostruktur: Hier genügt eine überschaubare Zahl an Vorkehrungen. Sobald jedoch Lagerhaltung oder Versanddienstleistungen hinzukommen, steigen die Anforderungen spürbar. Hier ist eine differenzierte Gefährdungsbeurteilung das zentrale Instrument zur Risikoeinschätzung.
Wenn Vorschriften zu Stolpersteinen werden
Generell ist es so, dass Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Mitarbeitern helfen – und nicht behindern sollen. Problematisch wird es nur dann, wenn die Auslegung der Inhalte falsch erfolgt. Wer seinen 50-jährigen Mitarbeitern in der Produktion verständlich machen will, warum man eine Unterweisung zum Mutterschutz ansetzt, obwohl in der Produktion keine Frau arbeitet, wird auf Unverständnis stoßen. Gleiches gilt, wenn Mitarbeiter pauschal dazu verpflichtet werden, Schutzbrillen in einer großen Produktionshalle zu tragen, nur weil in einem kleinen Bereich der Halle ein Risiko für Augenverletzungen besteht.
Regelwerke verständlich gestalten
Ein weiteres Problemfeld ist die Komplexität der rechtlichen Grundlagen. Viele gesetzliche Vorgaben sind oft schwer verständlich formuliert und führen häufig dazu, dass Unternehmen aus Sorge vor einer unzureichenden Rechtskonformität eine Überregulierung vornehmen. Dies resultiert oftmals in unverhältnismäßigen Maßnahmen, die die Akzeptanz für den Arbeitsschutz sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitenden deutlich mindern.
Beispielhaft hierfür sind innerbetriebliche Regelungen wie das Gehverbot auf dem Betriebsgelände beim Telefonieren – eine Vorgabe ohne gesetzliche Grundlage, die dennoch zur Anwendung kommt. Es braucht vielmehr das Bewusstsein, dass es im Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht nur ein Schwarz-Weiß-Denken geben kann. Stattdessen sollten anhand von Gefährdungsbeurteilungen die Risiken bewertet und zielgerichtet sowie unternehmensspezifisch geeignete Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden.
Kulturwandel als Schlüsselfaktor
Nicht zuletzt ist die Unternehmenskultur ein entscheidender Faktor für die Qualität des Arbeitsschutzes. Wenn ein innerer Antrieb für Sicherheit bei der Mehrheit der Menschen fest verankert ist, lassen sich formale Anforderungen auf ein sinnvolles Maß reduzieren. Wo hingegen Gleichgültigkeit herrscht, helfen Regeln allein kaum weiter.
Ein kultureller Wandel – hin zu mehr Verantwortungsbewusstsein und Partizipation – kann helfen, Arbeits- und Gesundheitsschutz aus der reinen Compliance-Perspektive zu befreien. Entscheidend hierbei ist, dass Unternehmen mit einer systematischen Strategie an der Weiterentwicklung ihrer Sicherheits- und damit auch Unternehmenskultur arbeiten. Auf diese Weise gelingt der Weg zu mehr Eigenverantwortung der Führungskräfte und Mitarbeitenden sowie zu weniger Überregulierung.
Über Stefan Ganzke und die WandelWerker Consulting GmbH:
Stefan Ganzke ist zusammen mit Anna Ganzke Gründer und Geschäftsführer der WandelWerker Consulting GmbH. Gemeinsam mit ihrem Team unterstützen die beiden mittelständische Unternehmen und Konzerne dabei, die Arbeitsunfälle kontinuierlich und nachhaltig zu senken sowie eine gelebte Arbeitsschutzorganisation zu entwickeln. Weitere Informationen erhalten Sie unter: https://www.wandelwerker.com