Ist uns die Lust auf Arbeit abhandengekommen? Einer HDI-Umfrage aus dem Jahr 2022 nach zu urteilen, lautet die Antwort für einen Großteil der arbeitenden Bevölkerung wohl: ja! Damals wollten 56 Prozent der befragten Bundesbürger ihren Job schnellstmöglich an den Nagel hängen, wenn sie finanziell nicht darauf angewiesen wären. Arbeit gilt demnach seit geraumer Zeit bei der Mehrheit der Deutschen als lästige Pflicht, statt sie als erfüllenden Bestandteil des Lebens zu erfahren.
Bild: www.pixabay.com/ Nile Dieter Last (62), Handwerksmeister, Fachjournalist und Mitglied im Arbeitskreis Baufachpresse e. V.
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Das bemerkte kürzlich auch die rheinland- pfälzische Wirtschaftsministerin, Daniela Schmitt. Für sie ist nicht nur die Bürokratie ein Hemmschuh des Standortes Deutschland. Die FDP-Politikerin vermisst - wie viele Andere auch - die Begeisterung fürs Arbeiten und berufliches Vorankommen. „Das Image der Arbeit hat in Deutschland eine Wendung genommen, die mich nachdenklich stimmt“, sagte sie kürzlich in einem Interview mit der Rhein-Zeitung. Wörtlich: „Ich bedauere es außerordentlich, dass Lust auf Arbeit, Lust auf Verantwortungsübernahme nicht mehr den Respekt und die Anerkennung in der Bevölkerung bekommt, die es aus meiner Sicht verdient.“
Die Diskrepanz am Wirtschaftsstandort Deutschland wird damit offensichtlich. Auf der einen Seite zeigen sich die Herausforderungen des Fachkräftemangels, hohe Lohn-, Sozial- bzw. Lohnnebenkosten sowie die daraus resultierende Probleme im globalen Markt. Andererseits begegnet uns eine Bewegung, die Work-Life-Balance mit einer ordentlichen Portion Skepsis gegenüber beruflichem Fleiß, Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft verbindet. Die Diskussion über die Vier-Tage-Woche oder einen gesetzlich verpflichtenden Home-Office-Anspruch nimmt dabei einen sehr großen Raum ein, der viele wirtschaftspolitische Aspekte offensichtlich überlagert.
Die Eckdaten sind in diesem Zusammenhang unerbittlich: Deutschlands Arbeitszeiten liegen weit unter denen der Wirtschaftsmächte USA (ca. minus 30 Prozent) oder China (etwa minus 70 Prozent). Bei uns ist der vollerwerbstätige Arbeitnehmer im Durchschnitt noch 1.574 Stunden pro Jahr tätig. In Ländern wie Italien (1.718 Std./Jahr) oder Portugal (1.781 Std./Jahr) wird erheblich mehr gearbeitet; von Polen (1.848 Std./Jahr) einmal ganz zu schweigen (Quelle: https://www.iwd.de/ ). Auch der durchschnittliche Krankenstand ist in Deutschland ungewöhnlich hoch. Im ersten Halbjahr 2024 lag er bei gesetzlich Krankenversicherten (GKV) bei rund 6,8 Prozent. Damit ist er im Vergleich zu den pandemiebedingten Werten der beiden Vorjahre 2022 und 2023 nochmals angestiegen, nachdem er während der letzten rund 20 Jahre konstant unter 4,5 Prozent gelegen hatte. (Quelle: https://de.statista.com/statistik/) Ob die telefonische Möglichkeit zur Krankschreibung sich hier negativ ausgewirkt hat, ist sicherlich fraglich. Im Ergebnis fehlten unserer Nation laut einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft https://www.iwkoeln.de/studien.html jedenfalls schon im Jahr 2023 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden – Tendenz steigend.
Schaffen wir die Trendwende?
Etwa ein Drittel unserer Lebenszeit verbringen wir mit bzw. auf der Arbeit. Es wäre allein schon deshalb vorteilhaft, diesen Zeitraum nicht als Belastung zu erfahren, sondern sich - zum Vorteil aller - aktiv einzubringen und Freude dabei zu empfinden. Der Beruf soll schließlich auch als Berufung erlebt werden. Arbeit ist weit mehr als nur Entlohnung für geleisteten (Zeit)Aufwand. Arbeit bringt eine Teilhabe am öffentlichen Leben mit sich und bildet damit ein soziales Umfeld im Kontakt mit Kollegen und/oder der Kundschaft. Es geht um ein kreatives Miteinander, das Darstellen der eigenen Fähigkeiten und ganz einfach um die Begegnungen im Team. Auch deshalb sollten berufliche Tätigkeiten so organisiert werden, dass es für alle „passt“. Der Fokus muss in diesem Zusammenhang nicht nur auf die reine Arbeitszeit, sondern auf effizientes, intelligentes Agieren gelegt werden.
Es gilt Arbeitende so zu befähigen, dass sie ihre Leistungskultur selbst gestalten, um eine dynamische und sinnstiftende Lust auf „die Sache“ zu erfahren. Mitarbeiter(innen) sind an der operativen Basis häufig die besseren Manager – machen wir sie im Kontext einer gemeinsamen Zielsetzung doch zum Manager ihres eigenen Erfolgs.
Der „Personalarbeit“ kommt damit eine besondere, strategische Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens zu. Erst wenn die Menschen spüren, dass ihr Arbeitgeber auf sie setzt, sie fördert, intelligent fordert und stetig weiterentwickelt, entstehen wirklich starke Bindungen zum Betrieb. Der lange belächelte Purpose - also der Mehrwert für die ganze Unternehmung - spielt dabei eine immer größere Rolle und ist ein enormer Hebel für mehr Produktivität – hier ist noch sehr viel Luft nach oben.
Die Arbeitsmarktexpertin und Wirtschaftspsychologin, Christina Bösenberg, formulierte es im The Pioneer Briefing https://www.thepioneer.de/originals/thepioneer-expert/articles/zwischen-wirtschaftswachstum-und-4-tage-woche kürzlich so: „Um in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir vieles synchronisieren: die Bedürfnisse der Unternehmen im globalen Wettbewerb, den veränderten Wertekodex der Menschen, die schrumpfende Wirtschaftskraft und eine abwandernde Industrie. Es ist an der Zeit, den Status quo zu hinterfragen und unsere Arbeitswelt den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen – Leistung inklusive“.
Dem ist nichts hinzuzufügen.